Eigentlich wollte ich mir nach den Anstrengungen der letzten Woche mal eine Pause gönnen, und es mir den ganzen Tag auf dem Sofa gemütlich machen. Aber der Tagesspiegel hat mir da einen mächtigen Strich durch die Rechnung gemacht. Das hier soll ja eigentlich nicht so ein Lipgloss und Gurkenmasken-Blog werden, aber ohne ein bisschen Werbung (ich hab nichts davon) geht´s dann doch nicht: Ich finde den Tagesspiegel (TS) ja toll. Nirgends sonst kann man sich so schnell und übersichtlich über Themen in der Stadt und den Bezirken informieren. Aber es gibt natürlich eine vorgegebene Auswahl an Artikeln. Trotzdem volle Empfehlung. Und vieles ohne Bezahlschranke.
Heute jedenfalls gab es einen online-Artikel, der mich gleich elektrisiert hat. Die gelungene Schlagzeile lautet:
„Luxuswohnungen für Berlin-Schöneberg Bezirk hält großes Wohnungsbauprojekt für nicht genehmigungsfähig.“
Der Immobilienentwickler Diamona & Harnisch will an der Pallasstraße, Gleditschstraße und Elßholzstraße in Schöneberg das Projekt „Am Winterfeldt“ realisieren. Die internationale Vermarktung ist bereits angelaufen, und es wurden die ersten Bäume gefällt (lt. TS).
Problem ist: es gibt keine Baugenehmigung.
TS: „Das bezirkliche Bauamt hält es [das Projekt] in seinen Ausmaßen für nicht genehmigungsfähig und erteilte im Sommer keine Baugenehmigung. (…) Die geplante Höhe der Bauten überstiege die ortsübliche Bebauung.“ Autsch – das sitzt!
Das betreffende Amt ist dieses hier. Und soweit ich das von ihrer Webspäsenz so grob überblicken kann, scheinen sie eigentlich recht offen und gesprächsbereit zu sein. („Der Fachbereich Bauaufsicht nimmt folgende Aufgaben wahr: Information und Beratung“) Und mir fällt natürlich sofort positiv auf, dass sie auf Artenschutzbelange bei der Gebäudesanierung und das Förderprogramm 1000 grüne Dächer verweisen.
Ich gehe mal davon aus, dass da Profis arbeiten, und der Kontakt zwischen der Projektentwicklerin und dem Amt zumeist recht zivil und konstruktiv abläuft. Diesmal scheint aber etwas schief gelaufen zu sein. Ich hab mir die Liste der vorgestellten Bauvorhaben mal angeschaut und das hier gefunden:
Also für mich gibt´s da ja fast keine Fragen mehr. (Hinsichtlich der letzten Spalte, hätte ich schon sehr gerne gewußt, wie der Investor auf das Amt zugekommen ist, und wie er sich dort verhalten hat.) Die Sichtweise des Amtes wird durch die geplanten Nutzungsmaße vollkommen gedeckt. Auf jeden Fall ist eine Durchführung allein über den Weg einer Baugenehmigung so nicht durchsetzbar, die Aufstellung eines B-Plans sollte bei diesen Dimensionen hier zwingend sein. Hier zur Liste der B-Plan Verfahren des Bezirks.
Eigentlich ist das alles normales Verwaltungshandeln und das findet sich sonst nicht auf der Titelseite des Tagesspiegels wieder. Aber der Artikel geht noch weiter.
TS: „In der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen kam man zu einem anderen Ergebnis als der Bezirk. Die übergeordnete Behörde hatte keine grundsätzlichen städtebaulichen und planungsrechtlichen Bedenken, hieß es in einem Schreiben an das Bezirksamt im August. Lediglich in kleineren Punkten sollte nachgebessert werden.“
WTF? Ist das Absicht, oder Überlastung? Verwendet doch ab und zu mal das hier. Baunutzungsplan ist die vierte Reihe unter B. Ich denke die Kolleginnen und Kollegen aus dem Schöneberger Bauamt kennen ihren Bezirk schon ganz gut. Und wenn die zu der Entscheidung kommen, das Projekt ist so unzulässig – dann ist da wohl was dran.
Aber es gibt eine Sache, die ich nicht verstehe. Warum äußert sich SenSW überhaupt zu dem Projekt? Klar, das ist die Aufsichtsbehörde. Aber die sollte doch erst tätig werden, wenn die untere Behörde einen Fehler macht. In dem Fall hat die Aufsichtsbehörde ja selber den Fehler gemacht.
Und so wie ich mein Berlin kenne, wird wohl der Rat der Bürgermeister der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen das Geschenk machen, die unrealistischen Gewinnvorstellungen eines privaten Investors als Projekt von außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung festzulegen, nur damit diese keinen Fehler zugeben muss.
Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja auch alles ganz anders.
erster Nachtrag vom 24.03.2021
Hoppla, da passiert ja plötzlich viel mehr als ich vermutet hatte. Der Tagesspiegel reicht einen zweiten Artikel nach, der ein paar Dinge weiter ausführt. Wenn man sich einliest, erfährt man z.B. dass das Angebot einen bezirklichen B-Plan zu erstellen vom Investor brüsk abgelehnt wurde. Ergebnis: Die Anwohnerinnen und Anwohner und weiteren Beteiligten sind stinksauer. Und zwar … auf … SenSW.
Ralf Kühne, Stadtentwicklungssprecher der GRÜNEN des Bezirks Tempelhof-Schöneberg geht sogar so weit, der Senatsverwaltung absichtliches und systematisches Versagen vorzuwerfen.
„Es ist mittlerweile ein offenes Geheimnis unter denen, die spekulativen Wohnungsbau betreiben wollen, dass sie die Bezirke an der Nase herumführen können, weil sie im Konfliktfall von SenStadtWohn immer eine freihändige Genehmigung im Widerspruchsverfahren bekommen“ (R.K. – Quelle: TS)
Hui, stimmt das? Lässt sich das belegen? Ab wann ist so etwas dann eine Frage mit der sich der Korruptionsbeauftrage des Landes (aus eigenem Antrieb) beschäftigen sollte. Und würde das etwas ändern?
Ich traue mir ja nicht zu, diese Fragen zu beantworten. Mir fehlt da die Expertise. Aber es gibt eine Erkenntnis, die ich aus der ganzen Sache jetzt schon mitnehmen kann:
Eine Fachaufsicht, die ihrer Aufsichtsfunktion nicht (mehr) nachkommt, und rechtswidrige Entscheidungen erzwingen will, führt zu erheblichem Unfrieden in der Stadt.
zweiter Nachtrag vom 07.05.2021
Es kommt ein bisschen spät, aber das ging nicht anders: Sigrid Kneist vom Tagesspiegel hat bereits am 20.04.21 über den neusten Stand des Verfahrens berichtet. Ich bin erst jetzt dazu gekommen, das nachzutragen.
Es gibt (wie immer bei strittigen Bauprojekten) viel politischen Streit im Bezirk. Zumeist steht dann auch, wie in diesem Fall, der bezirkliche Baustadtrat in der Kritik. In diesem Fall weil er kein B-Plan Verfahren eingeleitet haben soll. Das ist gut für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, denn jeder Streit auf der Bezirksebene nimmt den Druck von SenSW sich in dem Verfahren, der Sichtweise des bezirklichen Bauamtes anschließen zu müssen.
Trotzdem hat unser kleines, tapferes Bauamt bisher standgehalten und so ist der Ball jetzt immer noch bei SenSW. Das könnte das Bauamt nicht machen, wenn der Baustadtrat nicht hinter ihnen stehen würde, dafür Daumen hoch. Aufgrund der Intervention der Senatsverwaltung (oder auch nicht, wer weiß das schon), hat der Investor inzwischen auch angeboten das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung (30 % Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen) anzuwenden – aber nur auf den strittigen 5000 qm, welche über die Geschossfläche hinausgehen, die das Bauamt für zulässig hält. Ein extrem frecher Vorschlag der auch gleich mal zeigt, wie sicher sich der Investor fühlt.
Würde ein B-Plan erstellt werden, wäre die Investorin (ja ich verwende verschiedene generische Formen, siehe hier) nämlich gezwungen für das gesamte Projekt das Modell der kooperativen Baulandentwicklung anzuwenden. Würde man allerdings das geltende Baurecht , also den Baunutzungsplan West, streng anwenden, wären weder die Vorstellungen der Investorin, noch die des Bauamtes zulässig. Im vorliegenden Fall läuft das alles nur über Ausnahmegenehmigungen, durch die eine Überschreitung des zulässigen Baurechts begründet werden soll. Die Frage ist eben nur, wie weit diese Überschreitung gerade noch gehen darf.
Und das genau ist ein RIESEN-PROBLEM. Jeder Investor, der eine Ausnahmegenehmigung erteilt bekommt, legt die Latte für alle folgenden Bauherren aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein wenig höher (bzw. tiefer, aus Sicht des Planungsrechts). Frau Kneist schreibt dazu: „Da eine Nachverdichtung seitens des Bezirksamtes oftmals erwünscht sei, werde es Bauherren immer wieder gestattet, die Festsetzungen im Baunutzungsplan zu überschreiten. Das Bezirksamt habe dann entsprechende Befreiungen erteilt.“ Und so geht es immer weiter. Jede/*/r kriegt seine/*/ihre Ausnahmegenehmigung, und legt immer noch eine kleine Schippe oben drauf. Bäh!
Ich bin ja kein Fan des Baunutzungsplans, aber die Einhaltung geltender Regelungen ist mir dann doch wichtiger, als so ein „Über den Daumen“-Baurecht. Zumal bei dem aktuell beschrittenen Weg des permanenten Ausnahmezustandes durch jede Investorin immer deutlich mehr Boden versiegelt werden darf (warum? – siehe hier) als das aktuell gültige Planungsrecht zulassen würde. Boden. Kaputt. Erzählt das mal diesen Leuten.
Und was passiert als nächstes? Wie es aussieht, will der Bausenator Herr Scheel die Bezirke in Zukunft stärker an die kurze Leine nehmen. Neben dem Winterfeldtkiez, läuft hier sein zweiter Konflikt mit dem Bezirksamt Pankow. Wann immer die Bezirke mal probieren, etwas Innovatives zu machen, ihre Bürger*innen zu schützen oder einfach nur das geltende Recht zu verteidigen, gibt es eins auf den Deckel. Wie wird das wohl ausgehen?
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